Vom 25. November (Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen) bis zum 10. Dezember (Tag der Menschenrechte) schließen wir uns der internationalen UN-Kampagne Orange The World an und nutzen unsere Reichweite, um auf ein...
„Unsere Freiheit ist wie ein Kleid im Schrank einer Frau, das für keine Gelegenheit passend ist.“ – Interview mit Ana Marwan
In Ihrem Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“ behandeln Sie ein hochaktuelles Thema: Den Rückzug des Menschen aus der Gesellschaft und die Schwierigkeit, sich gesellschaftlichen Konventionen zu entziehen. Wie kommen Sie zu diesem Thema?
Ich glaube, jeder von uns hat ab und zu genug von unserer Gesellschaft, in der uns minderwertiger Ersatz für alles im Überfluss angeboten wird, wahrscheinlich schneller als je zuvor. Die Konventionen sind schon eine Last, aber sie haben natürlich auch ihr Gutes: Der Mensch braucht zumindest vage Gebrauchsanweisungen, einen Rahmen, der die Erwartungen einschränkt, eine Stütze, einen Kompass. Alles ist wohl gut und schlecht zugleich, und der Mensch ist gefangen zwischen diesen zwei Polen, die ihn abwechselnd anziehen und abstoßen; so flieht man z.B. vor Menschen und danach flieht man vor der Einsamkeit.
Ist das Aussteigen-wollen ein Symptom unserer Zeit?
Ich glaube, dass viele vom Aussteigen träumen, aber oft reicht dem Menschen schon das Gefühl, dass er diese Möglichkeit theoretisch hätte, um weiter im Trott bleiben zu können und nicht handeln zu müssen. Unsere Freiheit ist wie ein wunderbares Kleid im Schrank einer Frau, das für keine Gelegenheit passend ist.
Auch Urlaub wird großteils standarisiert. Jedem kann es schnell passieren, in der prallen Sonne stundenlang in der Schlange zu stehen, um sich eine Sehenswürdigkeit anzuschauen, und dann von einem plastifizierten Menü überteuert zu essen, und ich denke mir oft: Wenn das ein Arbeitgeber von uns verlangen würde, würden wir alle rebellieren.
Wie kommen Sie zu einem so verschrobenen, fast schon unsympathischen Außenseiter wie Karl Lipitsch als Protagonist Ihres Buches?
Nachdem sehr viel von mir in Lipitsch steckt, wundert es mich schon ein bisschen, dass er generell als unsympathisch rüberkomm (lacht). Aber ja, Lipitsch wählt diese Haltung aus Protest — er lehnt die Gesellschaft ab, also unterlässt er bewusst alle Bemühungen, angenehm oder sogar nur höflich zu sein. Das soll ihn gleichzeitig auch vor der Aufdringlichkeit der Anderen schützen. Ich glaube, man trifft jeden Tag Menschen, auf die das zutrifft. Viele ältere Menschen sind grantig, sie dürften sich in Puncto Höflichkeit kaum über „die Jugend heutzutage“ beschweren. Dieser Elan und die hoffnungsvolle Haltung der Welt gegenüber, die der Jugend eigen sind, werden dann aber durch Erfahrung sehr schnell in einen engen Rahmen des Möglichen und des Wahrscheinlichen eingegrenzt. Den Verdruss, der danach kommt, habe ich versucht in Lipitsch zu verkörpern.
Welche Funktion hat die Nachbarin Mathilde, die die gesetzten Grenzen von Karl Lipitsch nie wirklich respektiert?
Sie ist das andere Gesicht Lipitschs. Sie ist ihm sehr ähnlich, aber sie hat einen anderen Weg eingeschlagen, der mehr im Einklang mit der Gesellschaft ist. Sie versucht, nach den Regeln zu spielen und zu gewinnen. Lipitsch weigert sich mitzuspielen, weil er nicht gerne verliert.
Wie ist der Titel „Der Kreis des Weberknechts“ zu verstehen?
Ein Weberknecht kann, so wie Lipitsch, keine Netze weben. Lipitschs Bekannte im Gegensatz spinnen alle. Ich finde auch das deutsche Wort sehr schön: Der Knecht des Webers. Ich würde aber in keiner anderen Sprache dieses Wort wählen, das Slowenische z.B. klingt zu witzig (suha južina) sowie auch das Englische (daddy longlegs).
Sie sind in Slowenien geboren und aufgewachsen. Ist das Deutsche oder das Slowenische Ihre Schreibsprache?
Ich habe Deutsch 8 Jahre in der Schule gelernt und als ich mit 25 nach Österreich gekommen bin, konnte ich schon relativ gut sprechen. Das Österreichische zu verstehen war schwieriger. Mittlerweile verstehe ich aber schon alles auf Wienerisch und Oberösterreichisch. In meinem Kopf ist mein Deutsch auf dem Level eines Native-speakers, aber beim Sprechen passieren mir immer noch kleine Fehler. Aber ich sage nie Tüte statt Sackerl, außer im Eisgeschäft.
Wie kommen Sie zum kreativen Schreiben? Haben Sie schon andere Texte veröffentlicht oder noch weitere Manuskripte in der Schublade?
Momentan arbeite ich am nächsten Roman, diesmal auf Slowenisch. Ich habe angefangen, jetzt wieder auf Slowenisch zu schreiben, damit mir meine Sprache nicht verlorengeht. Sonst habe ich viele Kurzgeschichten in der Schublade. Vor kurzem habe ich einige, die ich als Kind geschrieben habe, gefunden, und ich habe mich sehr amüsiert — alle hatten einen sehr aufwendigen Aufbau und endeten dann plötzlich auf eine skurrile Weise immer abrupt — wie meine Schreiblust, wahrscheinlich.