Erstellt am: 21. August 2023

Sophia Lunra Schnack im Gespräch: „Kein Text darf das Gefühl haben, dass, in welcher Gattung auch immer, etwas nicht möglich ist“

© Walter Pobaschnig

Zum Erscheinungstermin ihres Debütromans „feuchtes holz“ haben wir uns mit Sophia Lunra Schnack über ihr Buch, ihre literarischen Beweggründe und ihren Schreibprozess unterhalten.


Schon beim Lesen der ersten Seiten deines Debütromans fällt einem sofort die Verschmelzung von Prosa und Lyrik auf.  Warum hast du diese außergewöhnliche Gattungsform gewählt?

„Gewählt“ ist hier für mich gar nicht der passende Ausdruck. Das war absolut keine Entscheidung, keine rationale Wahl, die ich vor dem Schreiben getroffen hätte. Sobald ich im Schreibfluss drinnen war, hat sich diese Form regelrecht aufgedrängt. Ich wollte auch gar keine Gattungsfrage über den Text stülpen, auch wenn es für mich immer klar war, einen Roman zu verfassen. Was das dann aber sprachlich, formal und inhaltlich bedeutet, ist für mich losgelöst von bestimmten Vorstellungen über Gattungsmöglichkeiten beziehungsweise -grenzen. Eine Gattung ist für mich eine Orientierung, ein Richtwert, soll aber nicht einengen. Kein Text darf das Gefühl haben, dass, in welcher Gattung auch immer, etwas nicht möglich ist, nicht sein darf. Das Schwanken zwischen Lyrik und Prosa hat mir erlaubt, viel mit Tempo zu spielen, immer wieder das Gewicht auf einzelne Wörter, Bilder, Klänge zu legen, die sonst im Lesefluss vielleicht untergegangen wären. Für mich hat das Lyrische auch etwas Zeitloses, zumindest Zeitanhaltendes, während die Prosapassagen Zeit einbringen, inhaltlich vorwärtsstreben.

Und wie kam es zur Du-Perspektive als Erzählinstanz?

Auch hier war das „du“ plötzlich da. Die Überlegungen zu dieser Entscheidung habe ich erst begonnen, als sie schon gefallen war. Jetzt im Nachhinein erscheint es mir sehr logisch: durch die Du-Perspektive fühlt sich der Leser/die Leserin direkter involviert, es wird klar, dass das im Buch Geschehene und Gedachte, Gefühlte nicht individuell fixiert sein soll. Mir war es wichtig, möglichst die potentielle Übertragbarkeit zu vermitteln, nicht unbedingt in den Details, aber in den größeren Bewegungen und Dimensionen des Romans.

Eines der zentralen Themen deines Romans ist das Erinnern mit allen Sinnen, besonders wichtig ist dabei der Geruchsinn. Warum liegt der Fokus genau auf diesem Sinn?

Der Geruchsinn lässt sich kaum steuern, überrascht uns meistens. Wir können nicht entscheiden, einen Geruch wahrzunehmen, in ihm zu bleiben. Je bewusster ich etwas riechen will, je öfter, desto neutraler wird der Geruch, löst sich irgendwann auf. Das Erinnern an sich funktioniert für mich ähnlich. In der Regel entscheidet man sich nicht dazu, sich an etwas zu erinnern, Bilder, Gedanken kommen eher auf. Und lassen sich aber auch nicht halten, auch die meisten Erinnerungen verblassen oder verfärben sich irgendwann. Das Erinnertwerden von einem Geruch ist besonders intensiv, wahrscheinlich gerade weil es so immateriell passiert, so ungreifbar, so unbeschreibbar auch. Jede/r kennt vergangene Gerüche, zum Beispiel an Personen gebundene, die ganz klar abgespeichert und gleichzeitig völlig unmöglich zu beschreiben, zu bewahren oder wiederzubekommen sind. Es ist diese Mischung aus extremer Intensität und Unhaltbarkeit, die mich am Geruchssinn (und am Erinnern) faszinieren.


In der Regel entscheidet man sich nicht dazu, sich an etwas zu erinnern, Bilder, Gedanken kommen eher auf. Und lassen sich aber auch nicht halten, auch die meisten Erinnerungen verblassen oder verfärben sich irgendwann.“


Deine Protagonistin kehrt gedanklich an das nicht mehr stehende Haus ihrer Familie im Salzkammergut zurück. Was bedeuten deiner Hauptfigur die Vergangenheit und ihre (Kindheits-)Erinnerungen?

Die Frage ist auch, was passiert mit Kindheitserinnerungen, wenn der Ort, von dem sie ausgehen, nicht mehr existiert? Oder setzen die Erinnerungen gerade deswegen bewusst ein, wenn diese für selbstverständlich und stabil gehaltene Greifbarkeit nicht mehr gegeben ist? Für die Hauptfigur öffnet sich zum ersten Mal der Erinnerungsraum. Das passiert, ich denke da immer an Bachmanns Das dreißigste Jahr, nicht mit 20. Da lebt man in einem ewigen Gegenwarts- beziehungsweise Zukunftsgefühl. Ab 30 in etwa liegt auch schon ein ordentliches Stück an Lebenskreation zurück, Nostalgie kann aufkommen und es wird einem klar, dass Vergänglichkeit doch auch einen selbst etwas angeht. Die Frage von Herkunft und Familienvergangenheit wird nicht mehr abgetrennt vom eigenen Werden. Man wird sozusagen von einem Luftmenschen, der nur das Eigene, immer nach vorne blickend, forciert, zu einem Menschen, der sich für die eigenen Wurzeln interessiert, sich über die Prägung, positiv wie negativ, der Vergangenheit bewusst wird.

feuchtes holz hat etwas sehr Zeitloses und Irreales an sich. Wie sehr ist der Roman dennoch in der Realität verankert?

Das „Zeitlose“ ist für mich fast ein Synonym für das „Reale“. Je realer etwas ist, das heißt desto menschlich greifbarer, wahrnehmbarer, desto weniger ist es ausschließlich in einer konkreten Zeit verankert. Desto mehr bezeichnet es Gedanken, Gefühle, Themen, die den Menschen, das Menschliche an sich beschäftigen, mit seinem Wesen an sich verbunden sind, das über Jahrhunderte, Jahrtausende, in zentralen Fragen, Bedürfnissen ähnlich bis gleich bleibt. In der Realität verankert sehe ich den Roman nicht, weil er beispielsweise zwei Weltkriege als historischen Rahmen hat. Auch wenn der von zwei konkreten Kriegen, einer konkreten Familie ausgeht, ist das eigentlich Reale des Romans sein Fragen nach Wiederholungen in der Menschheitsgeschichte, nach immer Wiederkehrendem, Kreisendem, dann, wie einzelne Menschen, Familien, individuell – und das heißt immer auch kollektiv – damit umgehen, nicht umgehen.

„Fast märchenhaft mutet die Landschaft an, vor der rückblickend Kriegsrealitäten von Großvater und Urgroßvater erzählt werden“, lautet es im Vorschautext zu deinem Buch. Wie lassen sich die malerischen und sinnlichen Beschreibungen auf der einen Seite und das ernste, sehr reale Thema des Krieges auf der anderen Seite vereinen?

Mich hat genau dieser Kontrast interessiert, dieses unvereinbar scheinende Nebeneinander von Idylle und Kriegsverbrechen. Diese Absurdität, die sich letztlich als ein „gerade deswegen“, als ein „erst recht“ herausstellt. Und gleichzeitig stellen die märchenhaften Passagen einen Fluchtraum dar, einen notwendigen Kontrastraum, in dem beschriebene Schauer wieder abklingen können, der Text sich erholt, wieder leichter wird. Idylle, Absurdität, Grauen, Märchenhaftes, diese Ebenen hängen hier sehr eng zusammen. Und ich wollte, trotz der Geschehnisse, auch eine Art von kindlicher Erinnerung nicht vernachlässigen, die noch nicht Bescheid weiß, die geprägt ist von dieser Landschaft, sie durch einen intimen, sinnlichen Filter wahrnimmt.


„Mich hat genau dieser Kontrast interessiert, dieses unvereinbar scheinende Nebeneinander von Idylle und Kriegsverbrechen.“


Noch eine Frage zum Schreiben an sich: Du hast bisher ja hauptsächlich Gedichte und kürzere Texte veröffentlicht. Wie war es nun für dich, ein ganzes Buch zu schreiben?

Da die Thematik schon lange in mir geschlummert hat, war es ein relativ zügiger Prozess. Ich hatte jedenfalls keine Angst vor der Länge, selten Probleme mit weißen Seiten. Es hat sich oft so angefühlt, als wären meine Finger zu langsam, als würden sie den stauenden Sätzen nicht nachkommen. Dann ist es immer wieder passiert, dass etwas entflogen ist, das hat mich schon frustriert. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, über Themen nachzudenken, zu konstruieren, es muss drängen, dringend sein, damit ich mich in einen Text werfe. Was manchmal überfordernd war, war der Prozess des Überarbeitens. Bei einem langen Text ist es nicht möglich, immer alles präsent zu haben, in jede Passage so lange hineinzuarbeiten, bis sie „perfekt“ sitzt. Man muss wohl öfter mal „loslassen“, als es bei einem kürzeren Text der Fall ist, bei dem sich der Überblick immer gut bewahren lässt.




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