H.C. Artmann und sein erster Verlag

H.C. Artmann und sein erster Verlag © Otto Müller Verlag

Am Samstag, 12. Juni, jährt sich der Geburtstag H.C. Artmanns zum 100. mal – ein unkonventioneller Dichter und Übersetzer; eine Künstlerpersönlichkeit. Vor allem die Gedichte im Dialekt der Wiener Vorstadt, die in dem Band „med ana schwoazzn dintn“ erschienen sind, machten ihn schlagartig populär. Am 18. März 1958 ist das Buch im Otto Müller Verlag erschienen – das erste Buch von H.C. Artmann.

Ein Text von Arno Kleibel (Verleger, Otto Müller Verlag)


EINS

Am 18. März 1958 erschien im Otto Müller Verlag das erste Buch von H.C. Artmann. Und das in einer für einen Gedichtband auch damals schon hohen Auflage von 4.000 Exemplaren. Der Beginn einer bemerkenswerten Erfolgsgeschichte des Buches „med ana schwoazzn dintn“ – dieser Ausgabe sollten 12 unveränderte Neuauflagen und zahlreiche Lizenzen folgen. Der Verlagsvertrag wurde im Dezember 1957 mit dem Arbeitstitel „Neiche weana Gedichte“ abgeschlossen.

H.C. Artmann unterbreitet dem Otto Müller Verlag acht Titelvorschläge für seine Gedichte im Dialekt der Wiener Vorstadt

Vom Autor wurden dem Verlag acht Titelvorschläge unterbreitet (u.a. „Met da linkn Haund“ oder „I sog eichs meinar söö“) immer mit dem  Untertitel „gedichta r aus bradnsee“. Einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die endgültige Auswahl der Gedichte und vor allem der markanten Gestaltung des Buches hatte Friedrich Polakovics, ein Freund des Autors. Dass sowohl Sedlmayer als auch Polakovics ein Vorwort beziehungsweise eine Einführung für das Buch beitrugen – beide Texte sind bis heute ebenso unverändert Teil der Ausgabe – ist bemerkenswert. Der unglaubliche Erfolg, den das Buch mit zwei weiteren Auflagen noch im Jahr 1958 hatte, ist ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass die Leitung des Verlages in den Händen der damals erst 27 Jahre alten Erentraud Müller, der Tochter des früh verstorbenen Verlagsgründers, lag.

Vor der Verlagsunterzeichnung war H.C. Artmann in Salzburg zu einem Gespräch im Verlag. Die Kommunikation erfolgte aber hauptsächlich in ausführlichen Briefen – eine lesenswerte Korrespondenz; ein einmaliges literarisches Dokument. Der Autor hat sich damals nicht selbst mit einem Manuskript an den Verlag gewandt, auch ging der Kontakt nicht von Salzburg aus; vermittelt hat der Kunsthistoriker Hans Sedlmayr mit einer dringenden Empfehlung und einigen Textproben. Den Kontakt von Artmann zu Sedlmayr wiederum lief über Maria Sedlmayr, der Gattin des Kunsthistorikers, die unter ihrem Mädchennamen Maria von Schmedes eine erfolgreiche Schlagersängerin und aus der Wiener Kulturszene mit Artmann bekannt war.

Dass die „schwoazze dintn“ auch noch als „Schönstes Buch Österreichs“ prämiert wurde, war eine Bestätigung der mutigen Entscheidung. Dass dieser Preis damals vom Wirtschaftsministerium auch noch mit 10.000 Schilling relativ hoch dotiert war, sollte eine längere Auseinandersetzung zwischen Artmann und Polakovics hervorrufen. Beide beanspruchten das Preisgeld, das aber eigentlich für den Verlag gedacht gewesen war. Erentraud Müller, von Artmann immer als „geehrtes Fräulein Müller“ angesprochen, fand auch für dieses Problem eine diplomatische Lösung. Der große Erfolg ermutigte den Verlag damals auch noch dazu, eine Schallplatte – gesprochen von Artmann und Polacovics – der „schwoazzn dintn“ zu veröffentlichen.

Der Verlag brachte in der Folge von H.C. Artmann übertragene irische Segenssprüche heraus. Der Autor wünschte sich für dieses Buch den Titel „Schlüssel zum Paradies“, allerdings war dieser Titel durch PS Buck „besetzt“, so einigte man sich auf „Der Schlüssel des Heiligen Patrick“.

Dass weitere Bücher von H.C. Artmann dann nicht mehr im Otto Müller Verlag erschienen, lag sicher auch daran, dass Erentraud Müller die Leitung des Verlages dem damaligen Lektor übergab und sie sich aus dem Tagesgeschäft zurückzog, um Medizin zu studieren. Der Verlag änderte mit der neuen Leitung auch seine Schwerpunkte und zog sich von der „schönen Literatur“ weitgehend zurück.

ZWEI

Ich habe 1986, im Alter von 25 Jahren, die Leitung des Verlages in einer, um es freundlich zu formulieren, für das wirtschaftliche Fortkommen des Verlages nicht ganz einfachen Zeit, übernommen. Der Wechsel in der Verlagsleitung wurde damals vom Kulturredakteur Werner Thuswaldner in den „Salzburger Nachrichten“ bemerkt, der einen längeren Artikel über meine Verlagspläne, nämlich der Literatur wieder einen größeren Stellenwert im Verlagsprogramm zu geben, verfasste. Artmann hat aufgrund dieser Zeitungsmeldung bei mir angerufen, er wolle eine ergänzte Neuauflage der irischen Segenssprüche herausbringen lassen, diesmal aber mit seinem Wunschtitel, der mittlerweile „frei“ war. „Der Schlüssel zum Paradies“ erschien 1993.

bei der Buchpräsentation der „Wiener Vorstadtballade“
H.C. Artmann und Arno Kleibel

1990 meldete sich ein Wiener Antiquariat, es sei im Besitz eines unveröffentlichten Manuskriptes von H.C. Artmann. Ich könne es, wollte ich es veröffentlichen, gerne kaufen, zu einem natürlich sehr hohen Preis, aber nur, wenn Artmann selbst die Echtheit bestätigt. Wir reisten also nach Wien – Artmann wohnte damals in Salzburg -, besuchten das Antiquariat und der Autor erkannte das Manuskript als Treatment für einen nicht verwirklichten Film über den Gallitzinberg im Wiener 16ten Bezirk wieder. Der Zufall führte uns im Anschluss an dieses Gespräch zu einem Fest im Cafe Hawelka. Dort war auch der Fotograf Franz Hubmann, den Artmann aus seiner Wiener Zeit gut kannte. Im Gespräch erklärte Hubmann, er habe für eben dieses Filmprojekt damals Standfotos gemacht und habe deshalb nicht nur diese Bilder, sondern auch das Manuskript. Beides schickte mir Hubmann am nächsten Tag nach Salzburg – ohne Honorarforderung. Der verschlungene Weg dieses Artmann’schen Manuskriptes mündete 1991 in der Buchveröffentlichung „Wiener Vorstadtballade“. Auch dieses Buch wurde für die herausragende Gestaltung mit einem Preis für „das schönste Buch Österreichs“ gewürdigt, allerdings – Gang der Geschichte – war das Preisgeld mittlerweile abgeschafft.

Die kurze Artmann-Geschichte „Von einem Husaren…“ wurde vom Ottensheimer Künstler und Freund Artmanns Christian Thanhäuser illustriert in Holztafeln geschnitzt und in kleiner Auflage gedruckt. Dieses bibliophile Meisterwerk erschien 1990 im Otto Müller Verlag.

1993 konnten wir – die Schallplatte war längst vergriffen – mit Unterstützung des ORF in Person des Leiters der Literaturabteilung in Salzburg, Klaus Gmeiner, die „schwoazze dintn“ im Studio neu aufnehmen und eine CD herstellen lassen. Ein unwiederbringliches Dokument der Dicht- und Vortragskunst von H.C. Artmann – der große Dichter und Poet.



H.C. Artmann im Otto Müller Verlag:

  • med ana schwoazzn dintn“ (1958)
  • „Der Schlüssel des Heiligen Patrick“ (1959)
  • „Von einem Husaren…“ (illustriert und in Holztafeln geschnitzt von Christian Thanhäuser, 1990)
  • Wiener Vorstadtballade“ (1991)
  • Der Schlüssel zum Paradies“ (ergänzte Neuauflage des Buches „Der Schlüssel des Heiligen Patrick“, 1993)
  • „med ana schwoazzn dintn“ (Buch + CD, 1993)
  • „Gesänge der Hämmer“ (Farbradierung, Holzschnitte, Initialen und Absatzzeichen von Uwe Bremer, 1996)


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